Auf Bundesebene wird seit mehreren Jahren an einer bundesweiten Nutztierhaltungsstrategie gearbeitet. Dabei wird das Bundesministerium von der Borchert-Kommission und ihren jeweiligen Arbeitsgruppen unterstützt. Diese beziehen sich auf die unterschiedlichen Nutztierarten und erarbeiten Empfehlungen. Landes- und Bundesminister*innen wünschen sich in dem Prozess ein schnelles Umsetzen der Empfehlungen.
EQAsce hat mit Herrn Prof. Dr. Friedhelm Jaeger gesprochen, der im Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen die Projektgruppe „Nutztierhaltungsstrategie“ leitet.
EQAsce: Sie sind in mehreren der oben genannten Gremien vertreten. Was haben Sie im laufenden noch jungen Jahr 2021 vor, welche Ziele haben Sie sich gesetzt?
Prof. Dr. Jaeger: Zunächst bin ich froh, dass wir einen so breiten gesellschaftlichen Konsens über die Weiterentwicklung unserer landwirtschaftlichen Nutztierhaltung haben. Wir haben unser Konzept hierzu am 22. Januar 2020 der Öffentlichkeit vorgestellt und freuen uns, dass auch das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung beim BMEL, die „Borchert-Kommission“, in vielen zentralen Aussagen auf gleicher Linie liegt. Bei der Erarbeitung unserer Nutztierhaltungsstrategie kam uns die enge Zusammenarbeit in internationalen Netzwerken, gerade auch mithilfe der Universität Bonn, sehr zugute. Angesichts offener Märkte muss landwirtschaftliche Tierhaltung immer in globalen Zusammenhängen gesehen werden.
Nun kommt es darauf an, dass auch in rechtlicher Hinsicht die für den gewünschten Transformationsprozess notwendigen Weichen gestellt werden. In diesem Zusammenhang sind besonders das Baurecht und das Umweltrecht zu erwähnen. Umweltschutz und Tierwohl sind zwei gleichrangige Staatsziele, die nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen, sondern in eine ausgewogene Balance zu bringen sind. Ich bin zuversichtlich, dass dies gelingen wird.
Bei der Umsetzung der Empfehlungen der „Borchert-Kommission“ geht es mir jedoch nicht schnell genug. Die aktuell angespannte Lage in der tierhaltenden Landwirtschaft macht vielmehr deutlich, dass hier Handlungsbedarf besteht. Nordrhein-Westfalen wird deshalb in der Agrarministerkonferenz im März eine entsprechende Initiative einbringen.
EQAsce: Alle Akteure in NRW, die zur Umsetzung der Nutztierhaltungsstrategie beitragen können, sind international vernetzt. Deshalb fördert das Land Nordrhein-Westfalen das Modell- und Sondervorhaben Forschungsnetzwerk NRW unter dem Akronym „Triangle.Net NRW“. Warum ist es so entscheidend Forschung, Innovation, Bildung und Internationalisierung gleichzeitig in die Netzwerkstrategie einzubinden?
Prof. Dr. Jaeger: Jedwede Fortentwicklungen und die Einführung neuer Technologien und Verfahren in die Landwirtschaft müssen stets wissenschaftsbasiert erfolgen. Die tierhaltenden Betriebe brauchen Planungssicherheit und die Gewissheit, dass die von ihnen ergriffenen Maßnahmen auch wirklich tragfähig sind. Um dies sicherzustellen, beschreiten wir vielfältige Wege, wobei das Projekt „Stall der Zukunft“ sowie die regelmäßigen „Praxistests“ besonders hervorstechen. Dies kann aber nur gelingen, wenn man auf eine breite Expertise zurückgreifen kann. Deswegen bin ich froh, dass die Rheinische Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn mit dem Projekt „Triangle.Net NRW“ – koordiniert durch EQAsce – hier maßgeblichen Input leistet.
EQAsce: Führt die derzeitige Ausnahmesituation – d.h. die Kombination aus Corona-Pandemie und Afrikanischer Schweinepest (ASP) – (insbesondere in der schweinefleischerzeugenden Kette) eher zu Verzögerungen der Maßnahmen, die man ergreifen möchte, oder beschleunigt sie diese sogar?
Prof. Dr. Jaeger: Die aktuellen Herausforderungen wirken wie ein Brennglas und lassen den dort ohnehin vorhandenen Transformationsbedarf umso mehr deutlich werden. Zugleich erwächst daraus der Druck, den Reformprozess nicht weiter hinaus zu zögern, sondern zeitnah die notwendigen Schritte zu gehen. Die Krise – vor allem in der Sauenhaltung – müssen wir ernst nehmen und den Sektor darin unterstützen, zukunftsfähige Lösungen zu finden. Bewährte Erzeugungs- und Vermarktungsketten dürfen nicht brechen; sie müssen vielmehr gestärkt werden. Nordrhein-Westfalen mit seiner besonders dichten Infrastruktur an Betrieben aus dem Agrar- und Ernährungsbereich hat hier eine besondere Vorreiter- und Vorbildfunktion. Nirgendwo sonst in der EU gibt es eine vergleichbare Struktur, weshalb Nordrhein-Westfalen im EU-Jargon auch als „Fettfleck der EU“ bezeichnet wird. Das insofern hier besonders vorhandene „Know-how“ ist ein großer Vorteil, den es dabei zu nutzen gilt.
EQAsce: Welche Funktion kann der auf Haus Düsse entstehende „Stall der Zukunft“ für internationale Netzwerke haben?
Prof. Dr. Jaeger: Das Projekt „Stall der Zukunft“ im Bereich Schweinemast ist ein zentraler Eckpfeiler in der nordrhein-westfälischen Nutztierhaltungsstrategie. Er bildet die beiden höheren Stufen zwei und drei des geplanten staatlichen Tierwohlkennzeichens ab und fungiert als Leuchtturmprojekt. Er ist eine „Blaupause“ für die Erfüllung höherer Tierwohlstandards und zeigt Wege auf, dabei auch den Belangen des Umweltschutzes hinreichend Rechnung zu tragen. Dieses Vorhaben hat eine hohe Multiplikatorenwirkung in die landwirtschaftliche Praxis und in die anwendungsorientierte Wissenschaft.
Ergänzt wird dieses Vorhaben durch ein weiteres NRW-Projekt, dem „Innovationscluster Stallbau“. Hierbei geht es darum, neue Ideen aus Industrie und Praxis rund um das Thema Tierhaltung bereits in einem frühen Stadium unter Tierwohlaspekten fachlich begutachten zu lassen. Eingereicht wurden bisher (Stand November 2020) schon über 40 einzelne Techniken, Systeme und auch ganze Haltungsverfahren, die nun gemeinsam mit einem Beirat ausgewertet und geprüft werden. Einreichende sind kleine, mittlere und große Firmen, aber auch einzelne Landwirte. Auch der Umweltaspekt spielt hier natürlich eine große Rolle. Eine hierzu eigens eingerichtete Kommunikations- und Evaluierungsplattform versteht sich als dynamische Ergänzung des konkreten Bauprojektes „Stall der Zukunft“. Eine „Tierhaltung mit Zukunft“, noch dazu, wenn sie nicht nur gesellschaftlich akzeptiert, sondern auch wirtschaftlich tragfähig und nachhaltig sein soll, besteht nicht nur aus ganzen, vollumfänglich vorgegebenen Stallkonzepten, sondern auch aus Kombinationen einzelner Techniken oder Systemen – und dies jeweils auf dem neuesten Stand der Technik. Dieses Anliegen wird mit dem Projekt „Innovationscluster Stallbau“ aufgegriffen und eröffnet so größtmögliche Flexibilität und Handhabbarkeit. Diese komplexe Herangehensweise ist neu und bisher ohne vergleichbares Beispiel. NRW geht auch hier bundesweit voran.