EQAsce: Herr Dr. Klaus Becker, warum warten betroffene Landwirte, Winzer und Gartenbaubetriebe derzeit so dringend darauf fachkundige Unterstützung zu erhalten? Welche Unterstützung kommt von den Experten der im Juli Etablierten Fach Task Force?
Dr. Becker: Landwirte, Winzer und Gartenbau sind mit Ihren angebauten Kulturen und deren Ertrag von den Jahreszeiten abhängig. Durch die Flutkatastrophe sind großflächig Anbau- und Nutzungsgebiete der Landwirtschaft, des Wein- und Gartenbaus in der Hauptvegetationszeit zerstört worden. In den direkt flutbetroffenen Gebieten ist die Ernte einer ganzen Vegetationsperiode verloren gegangen, in den vom Weinbau genutzten Bereichen zudem der langjährig (Jahrzehnte) kultivierte Rebbestand. Die Ertragsgrundlage Boden ist großflächig von Abschwemmungen, Schlammüberdeckung und Kontamination mit boden- und grundwasserschädlichen Betriebsmitteln, Heizöl und anderen festen wie flüssigen Chemikalien zerstört und geschädigt.
Dringendes Anliegen der Betroffenen ist deshalb, dass ihre Anbauflächen als Existenzgrundlage für Ihre Betriebe in kürzest möglicher Frist wieder so hergestellt werden, dass Anbau im Acker-, Gemüse, Wein- und Gartenbau zukünftig wieder uneingeschränkt möglich wird. Gleiches gilt für andere Betriebe und Betroffenheiten. Dass das möglich ist zeigt im Nachhinein die Flutkatastrophe von 1910 im Ahrtal, die Zerstörungen in der Infrastruktur, wenn auch nur im annähernd vergleichbaren Ausmaß verursacht hatte. Danach hat sich das Ahrtal wirtschaftlich und kulturell so erholt, dass die Folgen der Flut von 1910 im allbekannten Ahrtal vor der Flut 2021 nicht mehr erkennbar waren. Auch wenn unsere heutige Gesellschaft mit ihrer Infrastruktur erheblich komplexer aufgebaut ist, die durch die Flut flächendeckend zerstört ist, ist Hoffnung angesagt.
Grundlage für einen Wiederaufbau und Sanierung geschädigter Flächen ist immer eine straff und kompetent geführte fachübergreifende, intensive Sachstands- und Schadensaufnahme. Folgende Kategorien der Betroffenheit sind dabei gleichzeitig zu betrachten, räumlich darzustellen und hinsichtlich der Dringlichkeit der Wertermittlung zu bewerten. Was ist damit im speziellen gemeint: Sachstandsaufnahme mit Hilfe von topografischen Spezialkartenaufnahmen im Abgleich mit den Vorort Lagen in kürzest möglicher Frist, damit schon die ausgehende Vegetationsperiode 2021 noch genutzt werden kann (d.h., Gewinn eines halben Vegetationsjahres in Folge):
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- Abgleich der betroffenen Areale über Luftbildkartografie vom Zeitraum vor und nach der Flut zur räumlich bildlichen Darstellung und Vergleich betroffener Areale
- LIDAR-Aufnahmen vor und nach der Flut und rechnerische Differenzhöhendarstellungen. Damit lassen sich abgeschwemmte und überschwemmte Bereiche kategorisieren, um Sanierungs- und Meliorationsverfahren für insbesondere mein Fachgebiet betreffende weinbaulich und landwirtschaftlich genutzte Flächen ausarbeiten zu können. Selbstredend gilt das für alle anderen betroffenen Schäden
- Abgleich dieser Spezialkartenauswertungen mit den amtlichen Baugrundbodenkarten, Flurkarten und Bodenwertkarten zur Eigentums-/Nutzungsdarstellung sowie Schadens- und Wertermittlung
- Abgleich mit den ö. r. Planungsregularien wie: Bebauungsplänen, Gebietsentwicklungspläne, Landschafts-/Landschaftsschutz-/Naturschutzpläne, Wasserschutzzonenausweisungen u. a.
- Diese Vorarbeiten geben Hinweis zum Bodenmanagement: Dekontamination von Böden oder Entfernung falls Kontaminationsgrad zu hoch, in Nachfolge Melioration und Wiederinkulturnahme
Gefragt ist dabei die Bündelung der Expertise von Hochschulen, Vermessungsämtern, verantwortlichen Ämtern für Flurbereinigung, Boden- und Wasserverbände u.a.. Eine bedeutende Kompetenz wird hierbei dem Geoinformationsdienst der Bundeswehr zugeschrieben. Denn dieser ist heute bereits in der Lage, mit seinen Einrichtungen und Ausstattungen (Luftbildaufklärung), wertvolle Daten zur Aufklärung von Sachständen zu liefern. Angehörige der CIR- (Cyber-& Informationsraum) Einheit helfen heute schon in Hochwassergebieten. Die Zusammenführung dieser Daten ist für einen zielführenden von den Betroffenen gewünschten Wiederaufbau unabdingbar.
EQAsce: Welche Unterstützung kommt von den Experten der im Juli Etablierten Fach Task Force?
Dr. Becker: Nur in enger Abstimmung mit vielen an der Planung und Durchführung von Maßnahmen Beteiligten, lassen sich Planungsirrwege minimieren. Meiner Erfahrung aus anderen Projekten des Wiederaufbaus nach kann dies nur gelingen, wenn die ins Leben gerufene Plattform für Soforthelfer*innen um Experten in der von EQAsce koordinierten Fach Task Force erweitert wird. Es handelt sich hierbei um Personen mit Kompetenzen aus öffentlich geförderten Verbundprojekten, Fachbehörden, Fachdiensten, aber auch jenen, die mit der Ausführung von Maßnahmen befasst sind, wie Bauunternehmen, Lieferanten von Baustoffen, Architekten, Städte-/Landschaftsplanern und vielen weiteren engagierten Helfer*innen. Aus vergleichbaren Schadensereignissen an Böden hat man langjährige Erfahrungen, auf die man heute zurückgreifen kann.
Der Europäischen Genossenschaft EQAsce – ausgerichtet auf die Qualifikation von Nachwuchs- und Führungskräften in der Agrar- und Ernährungswirtschaft – sind z. B. meine Dozenten- und fachübergreifende Gutachter-Tätigkeiten hierzu bereits länger bekannt. Einige aus der Region sprachen mich auch auf die Zusammenarbeit mit meinem, leider verstorbenen Fachkollegen, Dr. Hubert Schulte-Karring von der Versuchsanstalt für Weinbau in Ahrweiler, an. Er ist der Entwickler des Ahrweiler Meliorationsverfahrens. Dies wurde von ihm in Zusammenarbeit mit den Odenwaldwerken aus Moosbach als Abbruchlockerer MM100 entwickelt und gebaut. Gemeinsam haben wir dann Sanierungsverfahren unter Nutzung des Geräts nach Gerätemodifikation mit einer Schweizer Firma für Bodensanierung und der ABC Spezialeinheit der Bundeswehr sowie Herstellern von mikrobiologischen und chemischen Bodenhilfsstoffen weiterentwickelt. Bei der Dekontamination von Böden nach Überschwemmungen und anderen Schadensereignissen ist das Verfahren häufig in den letzten Jahren erfolgreich eingesetzt worden.
Mit diesem Verfahren lassen sich mit variabler landwirtschaftlicher Gerätekombination Arbeitsschritte zudem zusammenfassen. Das bedeutet, Dekontamination und mechanische Bodenlockerung lassen sich in einem Arbeitsgang zusammenfassen und bei gleichzeitiger Einsaat einer Meliorationsansaat so eine Kulturperiode gewinnen. In der Folgeperiode können verlorengegangene Rebanlagen direkt wieder aufgepflanzt werden. D.h. je eher die Planungsmaßnahmen unabhängig von politischen Wägungen einleitet, desto eher kann man schon 2021 wetterabhängig bis in den November diesen Jahres mit der Bodensanierung und Melioration beginnen.
EQAsce: Prof. Dr. Petersen, welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Kooperation zwischen EQA und Pack an?
Prof. Dr. Petersen: Gleich nach den ersten Tagen der Flutnacht war es die Leistung von Pack an, eine schnelle Vermittlungsplattform für helfende Hände, Geräte, Ausrüstung und Hilfsgüter jeglicher Art zur Verfügung zu stellen! Auf diese Weise entstand nicht nur ein für Deutschland erst- und einmaliges Netzwerk sondern auch eine zentrale Organisationseinheit freiwillig und eigenverantwortlich handelnder Personen und mittelständischer Unternehmen. Wir entschlossen uns gemeinsam, die Plattform auch für den Wiederaufbau kontinuierlich weiterzuentwickeln. Dies geht am besten über eine strategische Kooperation. Ende Juli schlossen wir uns als zwei gut vernetzte Bonner Unternehmen zusammen und packen dort an, wo Freiwillige und Experten gebraucht, zusammengeführt und organisatorisch unterstützt werden müssen.