Bildungsangebote jenseits von Fach- und Hochschulen nötig
Das Land Nordrhein-Westfalen will mit der Arbeitsgruppe „Digitalisierung“ den Transformationsprozess im Rahmen einer Kooperation aller beteiligten Akteure der Lebensmittelproduktionsketten beschleunigen. Dabei spielen auch die Aus- und Weiterbildungsangebote eine Rolle, die durch EQAsce akkreditiert werden. Wer ein Personenzertifikat als Manager im Bereich Tiergesundheit & Tierwohl, Futtermittelsicherheit, Lebensmittelsicherheit, Krisen- & Risikomanagement oder ICT-/Lab-Manager anstrebt, erhält Trainingsangebote im Bereich Digitalisierung in entsprechenden Aufgabenfeldern von Dozent*innen, Berater*innen und Auditor*innen.
Zur Bedeutung der „Digitalisierung“ und ihrer Möglichkeiten für Umwelt-, Verbraucherschutz und Tierwohl sprach EQAsce vor kurzem mit der nordrhein-westfälischen Landwirtschaftsministerin, Ursula Heinen-Esser. Am 29.Mai ist sie ein Jahr lang im Amt.
EQA: Frau Heinen Esser, die Digitalisierung ist als Schlagwort in fast allen Lebensbereichen angekommen, so auch in der Landwirtschaft. Welches Potential sehen Sie für diesen Sektor – wie (und an welchen Stellen) kann Digitalisierung die Landwirtschaft voranbringen?
Frau Ursula Heinen-Esser: „Digitalisierung ist kein neues Thema in der Landwirtschaft. Sie begann – wie in anderen Branchen – in den 1980er Jahren mit dem Siegeszug des PC und unterstützte schon früh Landwirtinnen und Landwirte bei ihren Managementaufgaben. Transponder mit RFID-Technik werden schon seit über 40 Jahren bei der Abruffütterung eingesetzt, erste Melkroboter kamen in den 1990er Jahren auf den Markt.
Heute können wir mit GPS Traktoren oder Erntemaschinen zentimetergenau und auch (teil)autonom betreiben. Wir verfügen über kostenlose, öffentlich zugängige und mächtige Geoinformationssysteme, die einen immer besseren Überblick zum Beispiel über unsere Pflanzenkulturen ermöglichen und den Landwirtinnen und Landwirten als Entscheidungsgrundlage dienen.
Wirklich neu am aktuellen Digitalisierungsschub und eine neue Herausforderung ist die immer engere Vernetzung von Maschinen. Aber Digitalisierung ist weitaus mehr als der bloße Einsatz von digitaler Landtechnik; erst aus einem reibungslosen Zusammenspiel von Mensch und Technik ergibt sich ein ökonomischer, ökologischer und sozialer Mehrwert. Ich sehe in der Digitalisierung große Chancen, die vielfältigen Herausforderungen in der Landwirtschaft und im Umwelt- und Naturschutz besser und schneller bewältigen zu können. Beispiel Düngung: Wenn wir dank Sensor-, Fern- und Naherkundungsdaten in Verbindung mit digitaler Technik bedarfs- und zielgenauer sowie verlustärmer düngen können, dann schonen wir das Grundwasser und die Oberflächengewässer und gleichzeitig auch den Geldbeutel der Landwirtinnen und Landwirte. Ähnliches erhoffe ich mir auch im Pflanzenschutz zum Beispiel durch eine rechtzeitige Diagnose von Pflanzenkrankheiten und –Schädlingen. Aber nicht alles, was technisch möglich oder gar innovativ ist, ist auch ökonomisch, ökologisch oder sozial sinnvoll. Wir müssen also darauf achten, dass wir beim Thema Digitalisierung in der Landwirtschaft mit Bedacht vorgehen. Über 80 Prozent der Landwirtinnen und Landwirte verhalten sich – auch aufgrund der hohen Investitionskosten und dem unklaren ökonomischen Nutzen – eher zurückhaltend bis ablehnend. Wir müssen den Beweis führen, dass sich Digitalisierung tatsächlich lohnt, und hier setze ich ganz stark auf die neue Arbeitsgruppe Digitalisierung.“
EQA: Verschiedene Projekte laufen bereits oder werden angestoßen. Wissenschaftler*innen und Menschen aus der Praxis versuchen, digitale Möglichkeiten zur Verbesserung der Arbeit und Haltungs- bzw. Produktionsbedingungen zu nutzen. Braucht es neben den technischen ICT-Lösungen aus Ihrer Sicht auch entsprechende neue Qualifikationsangebote zum Bedienen der Technik oder Auswerten der Daten?
Frau Ursula Heinen-Esser: „Ja, wir müssen den Transformationsprozess aktiv organisieren. Jenseits der Fach- und Hochschulen muss digitale Kompetenz auch vor Ort, auf den Betrieben, auch der Generation Ü50 vermittelt werden. Hier setze ich auf die Landwirtschaftskammer NRW sowie die DEULA Warendorf und die DEULA Kempen. Wo wir als Ministerium helfen können, werden wir helfen. Wir brauchen ferner Farmdaten-Managementsysteme, die den Landwirtinnen und Landwirten die Arbeit abnehmen und nicht noch zusätzlichen Stress und Belastung (nach Feierabend) erzeugen. Erforderlich sind zudem neue Instrumente der Wissens- und Informationsvermittlung, wie diese unter anderem an der Universität Bielefeld am CITEC (Centre of Excellence Cognitive Interaction Technology) entwickelt werden. Ich bin mir sicher, dass sich die neue AG Digitalisierung auch verstärkt diesen Themenfeldern Farmdatenmanagement und Wissens- und Informationsvermittlung annehmen wird.“
EQA: Speziell die Landwirtschaft ist mit ihren Lebensmittel-, Produktions- und Lieferketten international vernetzt. Kann die Digitalisierung aus Ihrer Sicht zu größerer Transparenz bezüglich der Herkunft von Futter und Lebensmitteln beitragen oder endet diese Entwicklung in einem unüberschaubaren „Datenwahnsinn“ (sowohl für die beteiligten Akteure der Nahrungsmittelketten, als auch für die Verbraucher*innen)?
Frau Ursula Heinen-Esser: „Ja, ich bin der festen Überzeugung, dass wir dank der Digitalisierung eine größere Transparenz herstellen können, ohne in einem Datenwahnsinn unterzugehen. In großen Unternehmen der Ernährungswirtschaft gibt es heute schon eine lückenlose digitale Informationskette, die die Verfolgbarkeit eines Lebens- oder Nahrungsmittels von der Produktion zu den Verbraucherinnen und Verbraucherinnen und zurück gewährleistet.
Wir kennen alle die noch weitgehend analoge Eierkennzeichnung, die eine Rückverfolgbarkeit garantiert. Aber bei anderen Produkten, wie Fleisch oder verarbeiteten Produkten, wird ein Stempel eben nicht mehr ausreichen, wenn die Verarbeitung über mehrere Stufen erfolgt. Ohne eine verlässliche Herkunftskennzeichnung und Rückverfolgbarkeit wird es uns nicht gelingen, ein Tierwohllabel erfolgreich am Markt zu platzieren.“
EQA: In welchen Produktionszweigen landwirtschaftlicher Betriebe sehen Sie besonders drängenden Nachhol-, Forschungs- und Entwicklungsbedarf bezüglich der Digitalisierung?
Frau Ursula Heinen-Esser: „Etwa in der Sensorik in der Tierhaltung haben wir schon eine ganze Menge in der Praxis erreicht. Dies hat sich dort auch ökonomisch zum Beispiel in der Milchviehhaltung ausgezahlt. Oder nehmen wir die Melkroboter, die den Marktdurchbruch längst erreicht haben, und zusätzlich wertvolle Daten für den Betrieb liefern. Im Pflanzenbau scheinen insbesondere die hohen Investitionskosten einer weiteren Digitalisierung entgegen zu stehen. Digital gesteuerte Hack- und Striegelsysteme könnten schon heute einen signifikanten Beitrag zur Unkrautregulierung in Pflanzenbeständen leisten, aber sie sind bei geringen Einsatzzeiten einfach noch zu teuer. Hier bieten sich überbetriebliche Maschineneinsätze an. Auch beim Farmdatenmanagement besteht aus meiner Sicht noch erheblicher Forschungs- und Entwicklungsbedarf, auch in den Bereichen Datenhoheit und Datensicherheit. Rheinland-Pfalz hat hier mit dem GeoBox-Konzept einen sehr guten Ansatz entwickelt und wir freuen uns, dass wir gemeinsam mit Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Hessen im Kompetenzzentrum Digitale Landwirtschaft West (K-West) an weiteren Lösungen mitarbeiten können.“