EQAsce hat zu Jahresbeginn mit Dr. med. vet. Björn Petersen gesprochen: Dr. Petersen lehrt seit 2011 an der Tierärztlichen Hochschule Hannover, hat bereits mehrere EU- und DFG-geförderte Projekte unter anderem zu Genome Editing und Xenogenetik durchgeführt und hat jetzt mit einer Forschergruppe am Friedrich-Loeffler-Institut neue Erkenntnisse bezüglich des „Ausschaltens“ von Ebergeruch bei Schweinen gewonnen.
EQAsce Was bedeuten die Resultate Ihrer Studie für die Schweinefleisch-Erzeugung weltweit?
Dr. Petersen In der Schweinefleischproduktion stellt die Kastration männlicher Ferkel ein Problem dar, zumal die betäubungslose Kastration männlicher Ferkel seit Januar 2021 in Deutschland gesetzlich verboten ist. Die vorhandenen Alternativen wie Kastration unter Betäubung, Immunokastration oder Ebermast wurden in den vergangenen Jahren und werden auch derzeit intensiv diskutiert. Eine vollumfängliche Akzeptanz der einzelnen Alternativen von allen beteiligten Seiten (Fleischwirtschaft, Erzeuger und Verbraucher) zeichnet sich bisher allerdings noch nicht ab.
Unsere Pilotstudie sollte die Grundlage zum Verständnis der Geschlechterentwicklung beim Schwein bilden und die Möglichkeit der Geschlechtsbeeinflussung mittels Genome Editing evaluieren. Zudem stellt das Schwein ein hervorragendes Modell für das humane Swyer Syndrom dar, welches ebenfalls auf einer Mutation im SRY-Gen beruht. Die von dieser Keimdrüsenfehlbildung betroffenen Personen sind genetisch eigentlich männlich, bilden aber weibliche Geschlechtsorgane aus.
Für die Schweinefleisch-Erzeugung bedeuten die Ergebnisse unserer Studie, dass es langfristig gesehen eine weitere Alternative geben könnte, die zur Vermeidung des Ebergeruchs keine Eingriffe mehr am Tier benötigt. Allerdings müssten sich bis zu einer Anwendung der Technologie die gesetzlichen Rahmenbedingungen ändern. Zudem stellt die Verbraucherakzeptanz ein weiteres Hemmnis in der Anwendung dar.
EQAsce Wie sehen Sie die ethischen und gesellschaftspolitischen Diskussionen um die Kastration von Schweinen zum einen, und die Interpretation eines unversehrten Tieres zum anderen – beginnt eine Verletzung der Unversehrtheit schon bei den genetischen Eingriffen?
Dr. Petersen In den letzten Jahren hat ein großer Wandel in der Gesellschaft bezüglich der ethischen Standards in der Tierproduktion stattgefunden. Der Verbraucher legt vermehrt Wert auf eine tierartgerechte Haltung unter Vermeidung von Schmerzen und Leiden für die Tiere. Dies führte zur Hinterfragung zahlreicher zootechnischer Maßnahmen in der Tierhaltung, was ich aus tierärztlicher Sicht durchaus nachvollziehen kann. Sicherlich müssen in diesem Licht auch genetische Eingriffe als eine Verletzung der Unversehrtheit angesehen werden, allerdings sind diese im Fall des Ausschaltens des SRY-Gens nicht mit Schmerzen oder Leiden des Tieres verbunden. Alle unsere Daten zeigen, dass die Tiere sich nicht von Artgenossen in der Entwicklung oder Verhalten unterschieden. Für die Anwendung dieser Technologie müsste allerdings ein Ansatz gewählt werden, in dem die genetische Modifikation, die zur Ausbildung des weiblichen Geschlechts bei genetisch männlichen Nachkommen führt, einfach über den Samen eines Ebers vermittelt wird oder ein Eber nur X-chromosomale Spermien produziert und auf diesem Wege zu rein weiblichen Nachkommen führt. Hier müsste in Zukunft ein ethischer Diskurs darüber geführt werden, ob die Gesellschaft genetische Eingriffe an wenigen Vererbern ethisch vertretbarer einstuft als z.B. die chirurgische Kastration unter Betäubung von Abermillionen Schweinen.
EQAsce Welche Chancen sehen Sie, aus der Entwicklungsphase in die praktische Umsetzung zu gehen? Was sind aus Ihrer Sicht die hauptsächlich fördernden Faktoren, was sind eher hemmende Faktoren und Hürden für die praktische Umsetzung?
Dr. Petersen Unter den derzeitigen gesetzlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen sehe ich zeitnah keine praktische Umsetzung der Studie innerhalb der EU. Das Urteil des EuGH zu den neuen Züchtungstechniken hat das Interesse der Tierzüchter im Keim erstickt, da unabhängig wie groß die genetische Veränderung ist, diese Organismen als genetisch veränderter Organismus (GVO) vom EuGH eingestuft wurden und dementsprechend einem aufwändigen und teuren Regulierungsprozess unterstehen. Länder außerhalb der EU haben diesbezüglich deutlich freizügigere Einstufungen der Technologie vorgenommen. Zumal sich viele derzeitig diskutierte genetische Veränderungen nicht von natürlich vorkommenden Veränderungen unterscheiden. Für die praktische Umsetzung, ungeachtet der gesetzlichen und gesellschaftlichen Hemmnisse, müsste es zudem gelingen, Vererber zu erstellen, die die genetische Veränderung über den Samen an die Nachkommen weitergeben oder generell nur X-chromosomale Spermien produzieren. Strategien dies zu erreichen sollen in einem nachfolgenden Forschungsvorhaben überprüft werden.
EQAsce Worüber müssen/sollten wir uns bereits jetzt im Bezug auf dieses Vorgehen (genetischer Eingriff) gesellschaftlich austauschen?
Dr. Petersen Generell muss hier viel Aufklärungsarbeit bei der Bevölkerung betrieben werden, wie Genome Editing funktioniert und was man damit machen kann. Zudem ist es wichtig hier aufzuzeigen, dass unter Einsatz des Genome Editing viele Tierwohl- und Tierschutzaspekte wie Krankheitsresistenz oder Vermeidung zootechnischer Maßnahmen adressiert werden können. Hierbei ist es aus meiner Sicht eminent, neben einer Risikoabschätzung in der Anwendung von Genome Editing auch die Risiken aufzuzeigen, wenn man Genome Editing nicht anwendet. Hier stellt sich auch die gesellschaftliche Frage, ob es ethisch vertretbar ist, die Möglichkeit viel Leiden, Schmerzen und evtl. Keulung von Tieren zu vermeiden nicht zu nutzen? Ein solcher Austausch kann aber nur auf Basis einer gemeinsamen soliden Wissensplattform stattfinden. Diesbezüglich ist noch viel Aufklärungsarbeit zu betreiben.
EQAsce Gibt es weitere Forschungsgruppen auf der Welt, die sich mit diesem Forschungsthema beschäftigen?
Dr. Petersen Ja, gerade in Staaten, in denen der Gesetzgeber sich zu einer weniger regulierten Anwendung von Genome Editing durchgerungen haben oder zumindest öffentlich diskutieren (USA, Brasilien, China, Russland, Norwegen). In der Vermeidung der Ferkelkastration hat die US-Firma Acceligen interessante Daten veröffentlicht und versucht diese Schweine auch kommerziell zu vermarkten. Hierbei wählte die Gruppe jedoch einen anderen Ansatz als wir und schaltete ein anderes Gen aus, was dazu führt, dass die Schweine nicht in die Pubertät kommen.